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Vätternrundan
1996

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Vaetternrundan

Vätternrundan: Skandinavische Massentrimmveranstaltung, bei der ca. 16400 Menschen auf Fahrrädern den Vätternsee umrunden (300 km)

Die Skandinavier haben allgemein den Ruf, körperlich fitter zu sein als der Rest der Welt. Dies zu beweisen, veranstalten sie jährlich sogenannte Trimmveranstaltungen, in denen mehrere Tausend Teilnehmer irgendeine sportliche Ausdauerleistung vollbringen. Bekanntestes Beispiel ist der Vasalauf.
Auch die Radfahren haben ein halbes dutzend Happenings. So z.B. die Umrundung des in Südschweden gelegenen Vätternsees, ein Gewässer mit gut 100 km Ausdehnung in Nord-Süd-Richtung.
Eine gute Gelegenheit, dachte ich mir, etwas abzuspecken. Und so ging Ende April eine E-Mail los, mit der Bitte, mit Informationsmaterial zu schicken. Zwei Wochen, gut 24 Stunden vor dem Anmeldeschluß in Schweden, trafen die Unterlagen bei mir ein. Sofort wurde der Meldezettel ausgefüllt, ein Scheck über gut 120 DM beigelegt und los ging die Post.
Drei Wochen vor dem Start kam dann ein dicker C4-Umschlag. Eine 130-seitige Broschüre machte den Hauptteil aus: die Namen von 16100 Teilnehmern sowie Infos und Hinweise zu Anfahrt, Training, Start und Fahrt. Ein etwas längeres Studium der Namensliste zeigte: mein Name ist nicht dabei. Aber zum Glück fand sich noch ein unscheinbares Blatt, der Meldezettel mit der Startnummer 16198. Nun gut, eine Mail nach Schweden und kurz darauf war klar, wann Startzeit ist: morgens 4.52 Uhr.
Nachdem die Teilnahme gesichert war, kam das nächste Problem: wie hinkommen. Immerhin sind es bis nach Motala, dem Startort ein paar hundert Kilometer (von Braunschweig aus), die Ostsee nicht mitgerechnet. Mangels eigenem Auto und viel Geld blieb nur eine Anfahrt übrig: per Rad und Schiff.

Eine Woche vor dem Start, an einem Samstag, ging's dann los. Angestrebtes Tagesziel: möglichst nahe an Travemünde (bei Lübeck) heranzukommen. Nach 180 km gab ich auf und stieg in den nächsten Zug. Gegen 18 Uhr ging's auf's Schiff, nicht ohne noch auf den letzten 20 Metern durch eine Gewitter klitschnaß zu werden. Die nächsten 4 Tage vergingen wie im Flug, mit Tagestouren um die 150 km.

In Motala, dem Startort der Vätternrundan, mußte ich kurz suchen, um eine Unterkunft zu finden.
So hatte ich dann Donnerstag und Freitag Zeit, um Kräfte zu sammeln. Der Kilometerzähler stand inzwischen auf knapp über 700 km.
Dank der Teilnehmerhinweise war die Startnummernausgabe recht leicht zu finden und so blieb noch Zeit, das Rad durchzuchecken und die Starthinweise ein letztes Mal gründlich zu studieren.
Da war von Helmpflicht die Rede und von mindestens 1000 km Training vor der Runadan. Ernährungstips fehlten ebensowenig wie der Hinweis, vor dem Start mal die Beleuchtung zu kontrollieren, da ohne Licht kein Start möglich sei.

Freitag, gegen 20 Uhr, kurz vor dem Start der ersten Fahrer: zu meinem Erstaunen sahen die versammelten Radler samt ihrer Gefährten recht "normal" aus. Okay, eine ganze Reihe hatte erkennbar teure Räder, Klamotten im Mannschafts-Styling und so weiter. Aber auch zwischendurch war dann doch die 3-Gang-Schaltung, das Klapprad und der Ur-Alt-Renner zu entdecken.
Nach allerlei Ansprachen wurde dann auf Schwedisch der Wetterbericht vorgelesen und in 4 Sprachen gab's noch eine Begrüßung. Nicht, daß ich mich nicht freute, daß mir der Bürgermeister eine gute Fahrt wünscht, aber ich hätte lieber den Wetterbreicht auf Deutsch gehört ...
Pünktlich um 20.30 Uhr starteten dann die ersten 60 Radler (alle 2 Minuten folgten dann weitere 60, bis alle 16.400 Teilnehmer auf der Strecke waren), eskortiert vom Honda-Gold-Wing-Club (ihr kennt diese Motorräder, bei denen man sich immer fragt, wo der Kühlschrank und die Geschirrspülmaschine eingebaut ist).
Nachdem ich die ersten paar Starts beobachtet hatte, entschied ich, noch eine Tüte Schlaf zu nehmen. Also ab in den Schlafsack und den Wecker auf 4 Uhr gestellt. War aber nix, denn um 2.45 Uhr stand im Stockwerk über mir eine Gruppe Radler auf ...
Übrigens: der Vätternsee ist so weit nördlich, daß es zu der Jahreszeit nachts nur gut eine Stunde dunkel ist.

Samstag, 4.54 Uhr morgens. Etwas kalt in kurzen Radlerhosen (oben trug ich ein Wind-, ein T-Shirt, meine Regenjacke sowie den obligaatorischen Fahrradhelm).
Kurz vor dem Start waren hinter mir deutsche Stimmen zu hören. Wir tauschten Namen aus und beschlossen, an der ersten möglichen Haltestelle außerhalb der Stadt eine kurze Reparaturpause zu machen. Optimale Vorbereitung nennt man soetwas ... :-( Das Startsignal ertönte und wir zuckelten los.
Kurz vor 6 Uhr kam dann das erste km-Schild: noch 280 km. So genau wollte ich es eigentlich nicht wissen ... aber was soll's, die ersten 50 km sind immer die schlimmsten. Langsam verschwanden auch Bodennebel und Nieselregen. Wir vier Deutschen in der Gruppe begannen, unseree Windschattenfahrten zu koordinieren. Durchschnittsgeschwindigkeit knapp über 25 km/h. Etwa 5 km/h mehr als geplant, aber die Kälte in den Beinen sorgt dafür, daß die Beine nicht zu langsam radelten.
Gegen 7 Uhr, erreichten wir das erste Depot. Ich war geschockt: Riesenmengen Müll liegen auf dem Rastplatz, Plastikbecher, Bananenschalen ...
Wir tranken etwas (Blaubeersaft, Honigwasser) und bunkerten ein paar Bananen. Weiter ...
Die nächsten 40 km verliefen fast durchgehend in Sichtweite des Vätternsees. Trotz richtig guter Sicht war es uns nicht möglich, das andere Ufer zu sehen.
Mittlerweile hatten uns alle nach uns gestarteten Team-Gruppen überholt und das Fahren wurde spürbar einfacher, weil nicht plötzlich von hinten 20 Radler mit Tempo 35 lautlos angesaust kommen und ohne Vorwarnung überholen.
Nach einer ziemlich fiesen Steigung hatten wir dann auch die zweite Station erreicht, Netter Ausblick (ca. 80 Meter Steilwand nach unten zum See).

Die nächsten 30 km verliefen eher ruhig - ein paar Steigungen und Abfahrten, aber immer nur ein Gedanke: gleich gibt's was zu futtern. Die Durchschnittsgeschwindigkeit hatte sich auf ca. 24 km/h eingependelt.

In Könköping (109 km) angekommen, gab's dann endlich was richtiges zu futtern: Bockwürstchen mit Kartoffelpüree und viel Ketchup. Wir legten unsere erste größere Pause ein, 20 Minuten. Ein weiterer unserer Vierergruppe wagte es, seine lange Überhose abzulegen. Zu früh, wie er später meinte.
Die nächsten 30 km vergingen schnell, obwohl es um gut 90 m nach oben ging. Das Essen hatte Wunder gewirkt, wir fuhren über 26 km/h. Kurze Pause - wieder Honigwasser getrunken - dann weiter, schneller, da es überwiegend abwärts ging. Gute Stimmung machte sich breit. Zum ersten Mal waren wir ohne tiefere Zweifel, daß wir es schaffen.
Nach 178 km zurückgelegter Strecke erreichten wir schließlich Hjo, wo's die Hauptmahlzeit gab. Lasagne (für mich).
Mit gut gefülltem Magen und viel Kraft in den Beinen ging es dann nach einer Stunde weiter.
Trotz der Stärkung war zu merken, daß wir schon einiges hinter uns hatten. Die Gespräche wurden weniger, bis am Straßenrand ein Elch aus dem Gebüsch glotzte: Vollbremsung und zurückglotzen.
5 Minuten gegenseitiges Staunen und dann weiter (meinte auch die Elchkuh). Bald war die 200 km-Marke überwunden und 25 min später kam das nächste Depot. Die Gespräche verstummten, jeder kämpfte mit sich, nimmt die Umwelt kaum noch wahr. Nur aufpassen, was der Vordermann macht. Mir fallen mehrere Male kurz die Augen zu, Sekundenschlaf nennt man das wohl. Wäre mein Vordermann in die Bremsen gegangen, ich wäre aufgefahren.
Das nächste Depot brachte mir wieder etwas Wachheit. 20 min Pause. Wir lagen in der Sonne, es war führer Nachmittag. Weiter! Immer wieder sahen wir am Straßenrand Radler, die ein Schläfchen machen.

Gut 50 km vor'm Ziel klagte einer meiner Mitfahrer über Schmerzen im Knie. Wir beschlossen, langsamer zu fahren und eine Gruppe zu bleiben. Er quälte sich die nächsten 12 km bis zum Depot, wo ihn der Masseur kurz am Bein untersuchte und dann knetete.
Warmes Honigwasser. Wie fertig muß ein Mensch sein, um soetwas gerne zu trinken?
Unser Mitfahrer entscheidet, daß er weiterfahren will. Das Tempo sinkt gegen 20 km/h.
Bei km 270 gab's die letzte große Steigung, am Straßenrand stand eine Bibelgruppe und spornte die Radler mit Bibelsprüchen, abwechselnd auf Schwedisch und Englisch, an. Ohne die Anfeuerung hätte ich den Hügel wohl nicht geschafft. Im Nachhinein mußte ich immer wieder darüber lächeln, die Jungs standen an genau der richtigen Stelle und hatte genau die richtigen Sprüche.
Eine halbe Stunde später: das letzte Depot. Ich stieg ab, eierte zum Honigwasser und hatte vergessen, wo mein Rad stand. Es war zwar nicht schwer zu finden, aber ich bekam doch langsam Angst um meine Reaktionsfähigkeit. Ich war ausgepowert.
Nur noch 18 km. Es wurde wieder kühler, die Uhr zeigte 20. Die ersten 5 km gingen noch, aber nach und nach merkte ich, daß sich der Verstand langsam ausklinkte, die Beine von alleine radelten und das Gehirn nur noch dafür sorgte, daß ich nicht in den Straßengraben fuhr.

Erst bei der Einfahrt nach Motala wachte ich richtig wieder auf. Ca. 21.15 Uhr fuhren wir durch's Ziel, jeder bekam eine Medaille und wir wurden fotografiert.


Zweiter von links bin ich


Wir beschlossen, noch kurz eine Pizza zu essen. Nach dem Austausch der Adressen gingen wir dann wieder unsere eigenen Wege. Gegen 23 Uhr lag' ich dann in meinem Schlafsack.

Next Morning, Sonntag. 8 Uhr duschen. Wie erwartet, kein Muskelkater. Auch der Kreislauf kreiste brav. Nach Frühstück und packen brach ich auf, Ziel Jönköping, die ca. 110 km waren gemütlich bis zum Abend geschafft. Um 18 Uhr war ich in der Jugendherberge und die Beine zuckten. Sie hätten noch ein paar Kilometer gekonnt.

Montag. Tagesziel Göteborg. Starker Gegenwind und Regen verhindern, daß ich die ca. 200 km bis zum Abend schaffe. Ich suche mir in einem Vorort ein Hotel (nachdem alle Jugendherbergen auf dem Weg zu hatten). Am nächsten Morgen fuhr ich nach Göteborg rein, buchte das Schiff. Gegen 18 Uhr ging's dann auf's Schiff, welches bis zum nächsten Morgen nach Kiel brauchte. Von da ging es mit dem Zug nach Braunschweig zurück.

Fazit: Etwas über 15 Stunden Gesamtfahrdauer habe ich für die 300 km gebraucht, ohne Pausen 13 Stunden. Macht einen Schnitt von ca. 23 km/h bei einem Verbrauch von gut 10 Litern Honigwasser und Blaubeersaft. Das Rad (ca. 5 Jahre vorher für 1200 gebraucht bei einem Fahrradhändler gekauft, überwiegend Shimano LX) überstand das Abenteuer ohne Probleme. Mein Bauch nicht so ganz, gut 4 Kilo Gewicht verschwanden.
Ein Tourenrad in der Preisklasse über 1000 DM ist für die Strecke völlig ausreichend. Etwas Training sollte schon sein, wer ein paar Tage mit je 150 km durchhält, dürfte fit sein, die Strecke um den Vätternsee hat keine richtigen Steigungen.
Die Organisatoren der Vätternrundan haben sich vorbildlich um die Fahrer gekümmert. Am Start und bei jeder Verpflegungsstation (Speisen und Getränke sind im Startgeld enthalten) gab' es Fahrradmechaniker, nur Ersatzteile waren zu bezahlen. Ab der Hälfte der Strecke gab' es zusätzlich Masseure, die auch reichlich gefragt waren. Die Straßen waren teilweise gesperrt, oft ging es aber auch über normale Nebenstrecken. Ich kann mich an kein Schotter oder so erinnern.

Infos und Anmeldeunterlagen zur Vätternrundan gibt's im Web, aber die Adresse wechselte in den letzten Jahren öfters. Bitte daher eine Suchmaschine benutzen und nach 'Vaetternrundan' suchen.